Interviews – Antwort auf Ihren öffentlichen Brief

Antwort auf Ihren öffentlichen Brief

Sehr geehrte Damen und Herren von „Animal Rights Watch e.V.“,

wir bedanken uns für Ihren Offenen Brief an den Intendanten des Westdeutschen Rundfunks und für Ihr Interesse an unserem Projekt „Superkühe“. Sie kritisieren insbesondere, dass dieses einseitig und zum Schaden der Tiere die Sicht der Tiernutzer einnehme.
Auf Ihren Brief an den WDR via facebook antworten wir gerne ebenso öffentlich, weil es unser Interesse ist, das Projekt transparent zu begleiten und um die verschiedensten Sichtweisen und Argumente zu bereichern.

Gerne möchte ich Ihnen zunächst die Idee der „Superkühe“ erläutern. Dieses Projekt hatte zum Ziel, im Rahmen einer 30-tägigen Live-Phase am Beispiel dreier Kühe auf drei unterschiedlichen Höfen ein Bild davon zu zeichnen, wie Milchwirtschaft heutzutage in Deutschland praktiziert wird. Dass wir dabei drei landwirtschaftliche Betriebe in den Mittelpunkt stellten, die ihre Arbeit gut machen, ergibt sich aus dem Versuchsaufbau: Kein Landwirt, der glaubt, etwas zu verbergen zu haben, würde 30 Tage lang mehrere Journalisten rund um die Uhr mit Kameras auf seinen Betrieb lassen. Es war aber auch die Absicht, die Regel und nicht die Ausnahme in der deutschen Milchwirtschaft zur kritischen Diskussion zu stellen. Für eine Debatte über das Für und Wider der Praktiken einer Branche ist es aus unserer Sicht sinnvoll, den Alltag darzustellen – zumal dieser, wie viele uns im Rahmen des Projekts bestätigt haben, manchem Stadtbewohner inzwischen sehr fremd geworden ist.

Selbstverständlich respektieren wir Ihre grundsätzlich kritische Position gegenüber der Nutztierhaltung und halten Ihre Zweifel an der Praxis durchaus für nachvollziehbar. Sie schreiben, Superkühe thematisiere durchaus “einige fragwürdige, eindeutig grausame und schmerzhafte Praktiken in der Milchwirtschaft”, kritisieren dabei aber, dass Fragen nach der Legitimation dieser Praktiken nicht gestellt würden. Das Gegenteil ist der Fall. Gerade die von Ihnen angesprochene Diskussion um die Trennung von Kuh und Kalb oder das Enthornen der Kälber waren zentrale Themen. Grundsätzlich hat sich „Superkühe“ dabei im Sinne des Projektcharakters darauf konzentriert, die Abläufe in Bild und Text zu dokumentieren und umfassend über die Vorgänge zu informieren. In den entsprechenden Texten wurde aber auch angesprochen, dass es Kritik an den genannten Praktiken gibt. Im Falle der Kälbertrennung etwa haben wir auf die Alternative Mutterkuh- und Ammenkuhhaltung verwiesen, bei der Enthornung fehlten weder der Hinweis auf „Demeter“ noch die Information, dass immer mehr Landwirte auf Hornloszucht setzen. Auch haben die „Superkühe“ anders als von Ihnen dargestellt nicht unterschlagen, dass Tiere aufgrund der Haltungsbedingungen enthornt werden. Dies wurde wiederholt thematisiert, gerade bei der Enthornung haben wir großen Wert darauf gelegt, die unterschiedlichen Positionen zu Wort kommen zu lassen. Und auch in der äußerst regen Debatte auf Facebook nahm die Position der Kritiker viel Raum ein.

Sie kritisieren darüber hinaus, dass das Projekt “Superkühe” das “Empfinden der Kühe” nicht einbezogen habe und dieses von “vornherein als unerwünscht” ausgeschlossen habe. Tatsächlich maßen wir uns nicht an, die „Perspektive der Kühe“ einnehmen zu können. Dies wäre nach unserer Auffassung auch spekulativ, da sich letztlich über ihr Gefühlsleben nur mutmaßen lässt.
Ihre Stellungnahme basiert hierbei auf der Annahme, dass Milchkühe „Emotionen“ und ein „komplexes Gefühlsleben“ hätten, woraus Sie die Bewertung der Lebens- und Haltungsumstände von Kühen ableiten. Wir respektieren diese Einschätzung, jedoch lässt sich dies nicht als Gewissheit bzw. als gesichertes Wissen darstellen.
Die eingesetzten Sensordaten waren deshalb ein Mittel, das (physische) Befinden der Kühe zu objektivieren. Auch wurden nicht nur diese Daten genutzt, sondern auch eine ganze Reihe von Experten einbezogen, zuletzt auch eine Vertreterin der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz, die fachlich fundiert das Urteil fällte, dass es den Superkühen und ihren Stallgenossinnen gut gehe.
Denn während wir die Gefühle der Tiere aus unserer Sicht keinesfalls angemessen darstellen könnten, können wir durchaus objektiv ihren Gesundheitszustand, ihr Wohlbefinden, den Zustand des Stalls, ihr Verhalten und das Verhalten der Tiere in der Herde zueinander beschreiben. All das sind ja wesentliche Faktoren für das Empfinden der Kühe.

Sie weisen in diesem Kontext darauf hin, dass der Pansen-pH-Wert keinen Eindruck davon vermittele, wie sich eine Kuh bei der Trennung von ihrem Kalb verhält. Das ist richtig, aus diesem Grund hat der Pansen-pH-Wert bei der Berichterstattung darüber auch gar keine Rolle gespielt. Wir haben stattdessen mit Videos und Texten die tatsächlichen Abläufe geschildert. In der Tat war es so, dass keine der drei Kühe und keines der drei Kälber dabei laut oder lang schrie oder unruhig oder verwirrt wirkte, wie man das aus manch anderen Videos kennt. Darauf aber hatten wir keinen Einfluss, wir haben schlicht die Situation so dokumentiert, wie sie sich darstellte.
Dass die Kühe keine nennenswerte Bewegungsfreiheit hätten, wie Sie schreiben, wird durch die Pedometerdaten, die die täglich zurückgelegten Schritte der Tiere dokumentiert haben, widerlegt.

Sie stören sich in diesem Zusammenhang auch an den Formulierungen im Chat mit den Kühen. Demnach hätten wir diesen Worte in den Mund gelegt, die von Menschen stammen könnten, die ein finanzielles Interesse an den gezeigten Praktiken haben. Dazu würden wir gerne aus der Projektbeschreibung auf unserer Webseite zitieren, welche “Haltung” die Superkühe gegenüber der Nutztierhaltung haben – übrigens nicht nur im Chat, auch in den Tagebüchern: “Wie können (menschliche) Reporter behaupten, mit der Stimme einer Kuh zu berichten? Die Kuh-Tagebücher und die Gespräche im Chatbot entstehen aus einem Zusammenspiel von objektiven Live-Daten, die wir sammeln, und journalistischer Arbeit. Mehr als ein Jahr Recherche steckt in den Textbausteinen, auf die die Sensorstory zugreift; Experten und Praktiker haben uns geschult, die Daten der Kühe richtig zu verstehen, und den Interpretationsspielraum klein zu halten. Natürlich müssen die SUPERKÜHE Realisten sein, die ihr Leben beschreiben und nicht bewerten und schon gar nicht ihre Gefühle offenbaren und darüber reden, ob sie glücklich sind oder nicht. Was sie aber erzählen können: wie es ihnen körperlich geht, wie ihr Allgemeinzustand ist, was sie tagtäglich erleben – und auch, wie sich ihre Milchleistung voraussichtlich auf ihre Lebenserwartung auswirkt.”

In anderen Worten: Die Kühe werten nicht, sie berichten, und zwar möglichst neutral. Denn das Ziel der „Superkühe“ war eben nicht Beurteilung oder gar Anklage der Haltungsbedingungen, sondern zuvorderst die Information, auf deren Grundlage sich der Nutzer eine eigene Meinung bilden kann.

Konkret sind Sie in diesem Zusammenhang der Meinung, dass Superkuh “Uschi” andere Worte wählen würde als wir dies für sie getan haben: „Naja, ich kenne das ja schon, ist ja bereits mein sechstes Kalb. Und auch die anderen durften nicht lang bei mir bleiben. So ist das in der Milchviehhaltung. Die Kälber wachsen getrennt von ihren Müttern auf. So ist das System.“ Dies ist zunächst einmal eine sachliche Beschreibung der Realität. Eine positive Bewertung des Systems ist damit nicht verbunden und wird unseres Erachtens auch in keiner Weise suggeriert.
Gleichwohl ist ja beispielsweise in dem weiteren von ihnen genannten Zitat zum Kälberiglu mit dem Satz „Sagt zumindest Bauer Andreas“ eine kleine Relativierung verbunden und der Hinweis darauf gegeben, dass es sich bei der Einschätzung zum Zustand des Kalbes um eine menschliche handelt. Der Text nennt hier zwar Argumente für diese Schlussfolgerung, lässt mit der Formulierung aber auch ein Stück weit offen, ob dies wirklich so ist.

Sie schreiben außerdem: “Kühe sind Weidetiere, die mehrere Kilometer am Tag zurücklegen und selbstbestimmt soziale Beziehungen pflegen würden, wenn sie die Möglichkeit dazu hätten.” Wir unterschlagen an keiner Stelle, dass Kühe Weidetiere sind, sondern haben das durch die Auswahl der Betriebe (zwei mit, einer ohne Weidegang) und die Berichterstattung darüber thematisiert. Dass den Kühen in ihren Herden die Möglichkeit genommen wurde, in eine soziale Beziehung untereinander zu treten, können wir am Beispiel der drei Superkuh-Höfe hingegen nicht bestätigen.

Sie schreiben darüber hinaus, das Projekt „Superkühe“ hätte das Bild von Nutztieren wiedergegeben, das Sie aus der Tierindustrie kennen: “Ihr wichtigster Zweck und ihr Wert besteht in ihrem Nutzen für den Menschen. Möglich und nötig ist allein, was wirtschaftlich und praktikabel ist, die Gefühle der Tiere spielen keine Rolle.” Damit haben Sie Recht, denn tatsächlich ist es so, dass der überwiegende Teil aller Nutztiere, auch der Milchkühe, zum Nutzen für den Menschen gehalten wird, und dabei wirtschaftliche und praktische Aspekte eine große Rolle spielen. Genau das haben wir ja auch ausführlich geschildert. Und selbstverständlich kann man diese Realität hinterfragen und kritisieren, auch diesen Effekt kann das Projekt für die Nutzer ja haben. Ihr Vorwurf, wir hätten diese Realität „ideologisch eingefärbt“ und „manipulativ“ dargestellt, ist für uns aber in keiner Weise nachvollziehbar. Lassen Sie mich dazu auch kurz darauf eingehen, dass Sie Ihren Post mit verschiedenen, sicher emotional wirksamen Fotos illustriert haben, deren Bezug zum Text und zu unserem Projekt erst am Ende des Textes eingeordnet wird. Sie erklären, dass diese Fotos ein „realistischeres Bild von der Milchindustrie“ wiedergäben als die Superkühe. Was aber kann realistischer sein als Fotos, (Livestream-)Videos und Daten aus den Betrieben, über die wir bei den Superkühen 30 Tage lang berichtet haben? Vermutlich wollen Sie mit Ihrer Fotoauswahl darauf hinweisen, dass es eine andere Realität in der Milchviehhaltung gibt – eine, in denen Nutztiere auf Höfen leiden müssen. Wie Sie selber schreiben, ist das in verschiedenen anderen Formaten des WDR bereits oftmals zum Thema gemacht worden und wird sicher auch künftig Teil der Berichterstattung sein.

Im Rahmen der „Superkühe“ ging es uns aber wie beschrieben ausschließlich darum, den Alltag auf den drei ausgewählten Höfen zu dokumentieren – aus neuer Perspektive. Die „Superkühe“ wollten Verbraucher erreichen, die mehr wissen möchten über die Hintergründe ihres Milchkonsums. Viele von ihnen haben durch dieses Projekt zum ersten Mal überhaupt etwas von Kälbertrennung und Enthornung gehört. Damit ist anders als von Ihnen vermutet nicht die Absicht verbunden, “dass die Zuschauer/innen das Gesehene nicht emotional wahrnehmen und nicht moralisch bewerten” sollen. Gleichwohl war es uns wichtig, die moralische Bewertung nicht durch Emotionalisierung und Vermenschlichung vorwegzunehmen, sondern durch die sachliche Darstellung einen Beitrag zur Aufklärung in diesem Themengebiet zu leisten.

Wir sehen es als Aufgabe von Journalismus an, zunächst einen Überblick über die Fakten zu geben und Anschauungsmaterial aus der Realität bereitzustellen, um dann mit Hilfe dieser Fakten zu einer begründeten Meinung zu kommen. Und wenn Fakten diese Meinung in Frage stellen, die Diskussion fortzuführen und zu erweitern. Dabei haben wir uns über jeden Kritiker gefreut, der sich in der öffentlichen Diskussion mit den vielen Landwirten, die auch intensiv auf Facebook mitdiskutiert haben, vor allem aber mit “normalen” Verbrauchern sachlich über Probleme, Zweifel und über mögliche Alternativen ausgetauscht hat.

In diesem Sinne hoffe ich, dass Sie meine Erläuterungen nachvollziehen können und würde mich freuen, wenn Sie Ihre Kritik an unserer Haltung und Rolle mit Blick auf das Projekt „Superkühe“ noch einmal überdenken würden.

Mit freundlichen Grüßen

Das Superkühe-Team