Interviews – Interview Dr. Müller

„Mit Technik wird kein Tier mehr übersehen“

Die Agrarwissenschaftlerin Dr. Ute Müller erforscht in Bonn, was Sensoren in der Milchwirtschaft leisten können – und was das für die Kühe bedeutet.
SUPERKÜHE: Frau Müller, welche Rolle spielt die Sensortechnologie in der Milchviehwirtschaft?
Ute Müller: Die Sensortechnik ist aus der Milchviehwirtschaft nicht mehr wegzudenken. Und schon weitaus länger etabliert, als Verbraucher denken mögen. Schon in den siebziger Jahren begann die Entwicklung. Und heute werden immer neue, immer andere Sensoren eingesetzt. Leider wird dabei allzu oft vergessen: Die Messgeräte bieten nur nackte Zahlen. Viel wichtiger ist, was der Mensch daraus macht. Wie er die Daten deutet und welche Schlussfolgerungen er daraus zieht.  Die englische Bezeichnung für den Einsatz von Sensortechnik lautet „Precision Dairy Farming“. Das bringt sehr schön auf den Punkt, worum es geht: Präzision. Bei der Entwicklung und Anwendung der Sensoren, aber noch viel mehr bei der Interpretation der Daten.

Tragen Sensoren zum Wohlbefinden der Tiere bei?
Generell gilt: Je mehr Tiere eine Herde umfasst und je weniger Menschen damit betraut sind, diese zu betreuen, desto elementarer sind Sensoren – für das Wohlbefinden der Tiere. Im Projekt „CowSoft“ kombinieren wir Daten aus den Melkanlagen, messen, wie häufig und in welchen Mengen die Tiere trinken und fressen, zeichnen ihre Herzfrequenz auf, orten ihre genaue Position im Stall, tracken, ob sie liegen oder stehen. Aus all dem wollen wir eine Art „Wohlfühl-Index“ entwickeln, also eine Angabe über den allgemeinen Zustand des Tiers. Technik im Stall sorgt dafür, dass alle Tiere gleichermaßen beobachtet werden; kein Tier wird übersehen, weil es vielleicht eher unauffällig ist, kein Tier wird intensiver kontrolliert, weil es vielleicht besonders beliebt ist.
Können Sensoren für die Tiere auch gefährlich sein?
In der Praxis eingesetzte Sensoren wurden in der Regel von Experten, etwa Agrarwissenschaftlern oder Tiermedizinern, begutachtet und entsprechend befürwortet. Diese meist äußerlich am Tier befindlichen Sensoren sind nicht gefährlich. Aber auch die besten Sensoren können ein Tier nicht davor bewahren, dass der Landwirt beispielsweise falsche Maßnahmen einleitet oder vielleicht sogar Messwerte ignoriert.
Gibt es eine Alternative zur Sensortechnik?
So lange wir nicht zur Nutztierhaltung vor 100 Jahren zurückkehren, zu kleinen Herden also und einem weitaus geringeren Verbrauch von Milch, so lange gibt es keine Alternative. Denn in der modernen Milchviehwirtschaft kann der Mensch allein nicht mehr gewährleisten, alle Tiere im Blick zu behalten. Umso wichtiger ist es, dass der Umgang mit Daten aus Sensorik in der Ausbildung von Landwirten und Agrarwissenschaftlern noch wichtiger wird. Zur Gesunderhaltung von modernen Milchkühen ist die Sensortechnik alternativlos, da Sensoren frühzeitig Abweichungen von der Norm entdecken können.
 
Was halten Sie von den SUPERKÜHEN?
Ich finde den Ansatz Ihres Projektes sehr gut. Unter anderem, weil die Sensortechnik aufzeigen kann, dass die Gesundheit des Tieres nicht so sehr vom Haltungssystem abhängt, wie wir oft glauben, vielleicht auch glauben wollen. Wichtiger ist, wie der Hof ganz konkret geführt wird, welche Menschen dort arbeiten, wie genau sie auf ihre Tiere achten, welche Schlussfolgerungen sie aus den Daten ziehen, die die Sensoren ihnen liefern. Das Tierwohl hängt von dem Wissensstand und den Erfahrungen des Milchviehhalters ab, auch in Bezug auf die Anwendung von Sensoren und ihren Daten, und nicht in erster Linie von der Bewirtschaftungsform – bio oder konventionell, Familien- oder Großbetrieb. Auf diese Möglichkeit mögen viele Verbraucher nicht gestoßen werden wollen. Aber die SUPERKÜHE können das aufzeigen.Dr. Ute Müller arbeitet als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Tierwissenschaften der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und dem interdisziplinären Centre of Integrated Dairy Research (CIDRe). Dort erforschen Agrar-, Ernährungs- und Wirtschaftswissenschaftler, Informatiker und Mathematiker gemeinsam, wie Milchproduktion ökonomisch sein kann, ohne die Gesundheit der Tiere zu beeinträchtigen: https://www.cidre.uni-bonn.de/ – Foto: Andrea Madea