Interviews – Interview Prof. Dr. Grimm

„Daten richten auch Appelle an uns“

Der Philosoph Prof. Dr. Herwig Grimm erforscht in Wien, welche Grundlagen das Miteinander von Tier und Mensch prägen. Er leitet die Abteilung Ethik der Mensch-Tier-Beziehung am Messerli Forschungsinstitut.

SUPERKÜHE: Herr Grimm, Wie wichtig ist Sensortechnologie in der Milchviehwirtschaft heute?
Herwig Grimm: Die Nutztierhaltung erlebt gegenwärtig einen gewaltigen Digitalisierungsschub. Was früher oft der Intuition des Tierhalters überlassen wurde, soll nun auf Basis von vor Ort erhobenen Daten entschieden werden – etwa für den Futtermittelverbrauch oder die Tiergesundheit. Der Landwirt will empirisch erfassen, was in seinem Stall vor sich geht. Er will nicht nur wissen, wie viel Milch in seinem Tank ist, sondern auch, wie es jeder seiner Kühe geht. Der Pansen hat dabei großen Einfluss auf das Wohlergehen und ist daher von besonderer Bedeutung.

Kann sich das jeder Landwirt leisten?
Vermutlich wird es laufen wie in anderen Bereichen auch: Stehen die Geräte und Programme zu Beginn meist nur den finanzstarken Großbetrieben zur Verfügung, wird es bald billigere Anwendungen geben. Spannend wird sein, wie der Verbraucher auf die Digitalisierung reagiert: Zum einen kann sie zu einem größeren Tierwohl beitragen. Und wenn wir mehr darüber wissen, wie es der einzelnen Kuh geht, können wir mehr für sie tun. Andererseits interessieren sich die meisten Verbraucher bei Fragen der Landwirtschaft nicht für Technik und Innovation, sie sehnen sich vielmehr nach technikferner Idylle. Die Vorstellung, dass Tiere im Stall rundum überwacht werden, passt also nicht unbedingt zu den Bildern, die uns die Agrarwirtschaft gerne präsentiert. Dort ist Landwirtschaft meist beschaulich und ursprünglich.

Philosoph Prof. Dr. Herwig Grimm
Der Philosoph Prof. Dr. Herwig Grimm erforscht in Wien, welche Grundlagen das Miteinander von Tier und Mensch prägen. Er leitet die Abteilung Ethik der Mensch-Tier-Beziehung am Messerli Forschungsinstitut. Foto: Thomas Müller

Was wäre die Alternative zur Sensortechnik?
Ein mögliches Szenario ist eine weitere Differenzierung der Landwirtschaft: Sparten, die ganz auf Digitalisierung und Sensortechnik setzen, versus Bereiche, die bewusst ohne diese auskommen wollen und die Intuition des Menschen in den Mittelpunkt stellen. Entscheidend ist, dass nicht eine weitere Front gezogen wird. Vielleicht ist die Kombination ein guter Weg. Digitales Monitoring spart Zeit, die der Landwirt dann in eine aufmerksame Tierbeobachtung „reinvestieren“ kann.

Was halten Sie von den SUPERKÜHEN?
Wir sind als Bürger alle dazu aufgefordert, darüber nachzudenken, welche Form der Nutztierhaltung wir in einer demokratischen Gesellschaft verantworten wollen und können. Und genau in diesem Kontext sehe ich die SUPERKÜHE. Sie wollen nicht simplifizieren, nicht klarstellen, wer die Guten und wer die Bösen sind, sondern uns alle dazu aufrufen, sich mit diesem Thema zu beschäftigen und darüber nachzudenken, welche Werte in unserer Gesellschaft realisiert werden sollen.

Halten Sie den Ansatz für ethisch vertretbar?
Immer vorausgesetzt, dass die Tiere durch die Sensoren keinen Schaden nehmen und nicht unter vermehrtem Stress leiden, ist der Ansatz zu begrüßen, weil er die Frage der zukünftigen Gestaltung der Mensch-Tier-Beziehung zum Thema macht. Grundsätzlich begegnet uns die Nutztierhaltung nämlich oftmals nur in zwei unterschiedlichen Zuspitzungen: Als inszeniertes Idyll in der Werbung – oder als kolportierter Skandal auf den Titelseiten der Zeitungen.  Ich begrüße jeden Ansatz, der dazu beiträgt, ein empirisch basiertes „Dazwischen“ zu liefern – einen Blick auf die tatsächlichen gegenwärtigen Bedingungen in der Landwirtschaft freizugeben.

Das Messerli Forschungsinstitut ist eine interdisziplinäre Einrichtung der Veterinärmedizinischen Universität Wien, der Medizinischen Universität Wien und der Universität Wien. Das Institut wurde 2010 gegründet, um Orientierung zu bieten für einen vertretbaren Umgang mit Tieren – und Menschen auf wissenschaftlicher Basis in ihrer Verantwortung gegenüber Tieren zu unterstützen: www.vetmeduni.ac.at/messerli